Antidiskriminierungsklausel in Berlin: Viel Lärm mit Ablenkung

Die Diskussionen über die Antidiskriminierungsklausel des Berliner Kultursenators Joe Chialo lassen bislang eines aus. Es geht doch um den BDS.

schwarze Stoffbahnen verhüllen ein Gerüst

Nach Antisemitismusvorwurf: verhüllte Figurendarstellung des Kollektivs Taring Padi bei der Documenta 2022 Foto: Swen Pförtner/picture alliance

In den letzten Wochen spielte sich im Berliner Kulturbetrieb ein denkwürdiges Schauspiel ab. Der Berliner Kultursenator Joe Chialo (CDU) hatte eine Antidiskriminierungsklausel eingeführt, wenn man sich als Kulturmachender für Fördergelder des Berliner Senats bewerben möchte. Die Klausel umfasst auch ein Bekenntnis zur IHRA-Definition von Antisemitismus, die sich gegen israelbezogenen Antisemitismus richtet.

Als einen Grund, warum man von nun an ein Bekenntnis zur IHRA-Definition fordere, nannte die Pressestelle der Kultursenatsverwaltung gegenüber der taz die Folgen der Boy­kott­auf­rufe gegen Israel. Spätestens seit der Documenta 2022 seien die Auswirkungen des BDS-Kulturboykotts im deutschen Kulturbetrieb deutlich geworden, so die Aussage. Auf der Documenta kam es zu offen zur Schau gestellten Antisemitismus.

Es dauerte keine zwei Tage, bis ein offener Brief von Kulturmachenden gegen die Klausel protestierte. Eine Koalition der Freien Szene Berlins zog mit einem Appell nach. Die Sektion Bildende Kunst der Akademie der Künste bestätigte in einem eigenen Statement nochmals den Appell. Eine Kampagne namens „Strike Germany“ rief gar weltweit Kulturmachende dazu auf, deutsche Kulturinstitutio­nen zu bestreiken. Zwei Acts sagten daraufhin ihren Auftritt beim Berliner Musikfestival CTM ab.

Schon im Dezember hatten Juristen in einer Stellungnahme vor einer sich anbahnenden Institutionalisierung der IHRA gewarnt. Alle Stellungnahmen nannten – wenig verblüffend – die „Jerusalem Declaration on Antisemitism“ als alternative bis präferierte Definition von Antisemitismus. Nach dieser sind Boykottbewegungen wie BDS „im Falle Israels“ „nicht per se antisemitisch“.

BDS war kein Thema

Im Grunde war der Fall klar, nur schien das weder in den Medien noch unter den Verfassern und Unterzeichnern irgendwen zu interessieren. Es war fast, als hätte man kollektiv vergessen, um was es eigentlich gehen würde. In keinem der Aufrufe und Stellungnahmen war der BDS oder seine Ideologie ein Thema. Und auch nicht in den Zeitungsartikeln über die Klausel und den Protest.

Stattdessen hatten die IHRA-Kritiker Angst vor Dingen wie „Gesinnungsprüfung“, fürchteten sich vor „Rechtsunsicherheit“ und der „Einschränkung von Kunst- und Meinungsfreiheit“. Sie bemängelten, dass die IHRA-Definition nie dazu gedacht gewesen war, rechtsverbindlich zu werden, und warnten vor „missbräuchlichen Antisemitismusvorwürfen“. Die Argumente in den Stellungnahmen ähnelten sich.

Lediglich der Streikaufruf fiel ein wenig aus der Reihe, der besonders aufdringlich, aber auch besonders absurd war. In teilweise großen roten, grünen und weißen Buchstaben ist dieser auf der Website der Kampagne vor schwarzem Hintergrund abgebildet, in den Farben Palästinas. Wegen ihrer „McCarthy-Politik“ solle man deutsche Kulturinstitutionen boykottieren, heißt es dort. Lieber gar nicht als mit Bekenntnis gegen israel­bezogenen Antisemitismus.

Auf Nachfrage der taz, dass es bei der Berliner Antisemitismusklausel um BDS gehen würde, antworteten dann immerhin ein paar Unterzeichner des gegen die Klausel gerichteten offenen Briefs. Den BDS erwähnten sie trotzdem nicht.

Lediglich der Rechtsanwalt Jerzy Montag, der ein Statement von Juristen auf Verfassungsblog mitverfasst hatte, meinte, dass ein Bekenntnis zur Verhinderung von Boykotten israelischer Künstlerinnen und Künstler „ungeeignet“ sei. Wie man israelbezogenen Antisemitismus dann bekämpfen solle, wollte auf Nachfrage der taz niemand sagen.

Politischer Akt der „Freimütigkeit“

Die Debatte streift – abgesehen von dem eher wahnsinnigen Streikaufruf – ein Grundproblem der jüngst inflationär verfassten offenen Briefe und Stellungnahmen. Am Donnerstag im Literaturhaus Berlin erklärte eine Wissenschaftlerin auf einer Veranstaltung zum Thema offener Brief, dass dieser nicht für einen Dialog auf Augenhöhe gedacht sei.

Eine solche öffentliche Äußerung erwarte keine Antwort. Es ginge vielmehr um den politischen Akt der „Freimütigkeit“, wie sie erklärte. Der späte Michel Foucault feierte das als „Parrhesia“, was so viel wie „offene Rede“ bedeutet.

In der Antike, aus deren Philosophie Foucault den Begriff nahm, hatte die Parrhesia klare Grenzen. Sie konnte nur im attischen Demokratiezirkus oder im Theater angewandt werden. Zudem war sie Teil der griechischen Schüler-Lehrer-Beziehung. Um sich weiterzuentwickeln, war es für den Schüler unbedingt notwendig, sich freimütig zu äußeren. Nur so konnte ihn der Lehrer zurechtweisen und kritisieren.

Selbstvergewisserung des Redners

Das Konzept der Freimütigkeit ist also Teil eines dramatischen Spieles. Hierbei geht es vielmehr um die Selbstvergewisserung und Bestätigung des Redners als um das, was er genau sagt.

Als solches Spiel versteht man die jüngsten Statements und Briefe schon eher. Denn keiner der Texte kann präzise benennen, was die schrecklichen Verwerfungen sein sollen, die ein Bekenntnis gegen israelbezogenen Antisemitismus mit sich bringen soll. Warum es überhaupt ein Problem ist, dass der deutsche Staat keine Personen fördern möchte, die einen demokratischen Staat wie Israel delegitimieren wollen, blieb sogar auf Nachfrage unbeantwortet.

Die antisemitische Ideologie, die Gruppen wie BDS verbreiten, und deren Forderung nach der Abschaffung Israels finden bei den Kritikern der IHRA-Definition keine Beachtung. Auch dass es so etwas wie eine IHRA-Klausel überhaupt nicht bräuchte, wenn es nicht eine Form der Israelkritik gäbe, die den demokratischen Rahmen verlässt, blieb unerwähnt.

Besonders grotesk ist aber dies: Die Klausel soll anscheinend überhaupt keine Konsequenzen haben. Das war das, was man sich als deren Befürworter mindestens erhofft hatte. Dass sie verhindern könne, Künstler, die antisemitische Kunstwerke zu verantworten hatten, erhielten hiernach nicht auch noch Gastprofessuren. Genau das aber war nach der Documenta geschehen.

Bewirken kann das die Klausel anscheinend nicht. Sie soll lediglich „sensibilisieren“, so die Kultursenatsverwaltung. Das führte das Schauspiel um ihre Einführung vollends ad absurdum.

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